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T 2191/13 - Recognition doesn't confer novelty


In this opposition appeal, the proprietor argues that the prior art does not disclose a particular claim feature, namely a selection of a component of a glue-system being made in dependence on knowledge of the substrate and processing condition under which the glue-system is to be used.

The Board considers this difference as follows:

Orientierungssatz:
Ein rein auf gedanklicher Ebene bestehender, nämlich sich ausschließlich auf das Vorhandensein einer Erkenntnis gründender Unterschied zum Stand der Technik kann, ohne dass dieser einen Niederschlag in den technischen Merkmalen des Anspruchsgegenstandes findet, die Neuheit nicht begründen (Punkte 12.3 und 12.4 der Entscheidungsgründe)

Headnote (translated and paraphrased)
A difference with respect to the state of the art which exists solely in an abstract recognition, without there being a manifestation of the abstract recognition in the technical measures of the claimed object, does not confer novelty (points 12.3 and 12.4 of the Reasons)

Of further interest is point 12.4 in which the Board hypothesises that if such a difference were to confer novelty, this would imply that in order to demonstrate infringement, it would have to be proven that such knowledge (on the substrate and processing conditions) would have been in the mind of an infringer when performing the selection, which according to the Board demonstrates the invalidity of this hypothesis.

Entscheidungsgründe
(...)

12. Neuheit

12.1 Anspruch 1 bezieht sich auf ein Verfahren zum Bereitstellen einer individuell an die Substrate und die Verarbeitungsbedingungen angepassten Klebstoffzusammensetzung, umfassend die Schritte

- Bereitstellen eines Klebstoffsystems,

- Auswählen einer für die jeweiligen Substrate und Anwendungsbedingungen geeigneten Komponente (B) aus mehreren Alternativen; und/oder Auswählen einer Menge einer Komponente (B), wobei diese Menge an die jeweiligen Substrate und Verarbeitungsbedingungen angepasst ist,

- Beimischen der Komponente (B) zu Komponente (A),

wobei das Klebstoffsystems umfasst:

(A) eine mit Feuchtigkeit reaktionsfähige Mischung, umfassend mindestens ein Prepolymer, aufgebaut aus mindestens einem Polyol und mindestens einem Polyisocyanat; sowie

(B) eine Modifizierungskomponente, umfassend mindestens einen Polymerisationskatalysator,

und wobei als Komponente (B)

(i) verschiedene Katalysatoren als Alternativen

und/oder

(ii) verschiedene Katalysatormengen in verschiedenen

Gefäßen als Alternativen

enthalten sind,

wobei im Fall (ii) die verschiedenen Gefäße mit Komponente (B) verschiedene zu erzielende offene Zeiten/Presszeiten repräsentieren.

Somit ist das Klebstoffsystem des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 8 wie in Anspruch 1 des Hilfsantrags 2b definiert unter Beschränkung auf die Alternativen (i) und (ii) und ohne das Merkmal, dass die Komponenten in einer gemeinsamen Umverpackung bereitgestellt sind.

12.2 Aus den bezüglich des Hilfsantrags 2b genannten Gründen wird dieses Klebstoffsystems in den Beispielen der D10 offenbart. Somit ist der erste Schritt des anspruchsgemäßen Verfahrens, nämlich die Bereitstellung eines Klebstoffsystems, durch D10 bereits vorweggenommen.

D10 (zweite Tabelle der Seite 30) offenbart ferner den anspruchsgemäßen zweiten Verfahrensschritt, nämlich die Auswahl eines Härters B1/C3 und damit einer bestimmten Katalysatormenge von 0,02 Teilen. Aus der zweiten Tabelle auf Seite 30 der D10 geht hervor, dass dieser Härter zu einer guten Verklebung führt und damit an das in D10 verwendete Substrat und die darin vorliegenden Verarbeitungsbedingungen gut angepasst ist.

Schließlich wird in D10 auch der anspruchsgemäße dritte Verfahrensschritt der Beimischung der Komponente C3 (entsprechend der anspruchsgemäßen Komponente (B)) zu der Komponente B1 (entsprechend der anspruchsgemäßen Komponente (A)) offenbart.

12.3 Vom Patentinhaber wurde argumentiert, dass zum Zeitpunkt der Auswahl des Härters C3 in D10 noch nicht bekannt war, ob der ausgewählte Härter bzw. die ausgewählte darin enthaltene Katalysatormenge an das Substrat und die Verarbeitungsbedingungen angepasst war. Dies habe sich in D10 erst nach der Verklebung und nach Charakterisierung der Klebefestigkeiten ergeben. Somit fehle das anspruchsgemäße Merkmal, dass die Auswahl zielgerichtet, nämlich an die Substrate und Verarbeitungsbedingungen angepasst ist.

Selbst wenn man der Auslegung des Anspruchs 1 durch den Patentinhaber folgt, besteht ein Unterschied nur in nicht technischer, d. h. rein gedanklicher Hinsicht, nämlich dahingehend, dass anspruchsgemäß bereits während der Auswahl der Komponente (B) die Erkenntnis vorhanden sein muss, dass die ausgewählte Menge an ein bestimmtes Substrat und bestimmte Verarbeitungsbedingungen angepasst ist, während diese Erkenntnis in D10 erst im Anschluss an diese Auswahl entstanden ist.

Ein solcher rein auf gedanklicher Ebene bestehender, nämlich sich ausschließlich auf das Vorhandensein einer Erkenntnis begründender Unterschied kann, ohne dass dieser einen Niederschlag in den technischen Merkmalen des Anspruchsgegenstandes findet, die Neuheit aber nicht begründen. Dieser Ansatz folgt der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 2/88. Hier wurde festgestellt, dass eine beanspruchte Erfindung nur dann neu ist, wenn sie mindestens ein wesentliches technisches Merkmal enthält, durch das sie sich vom Stand der Technik unterscheidet (Punkt 7 der Entscheidungsgründe). Entsprechend kann gemäß dieser Entscheidung ein Merkmal rein gedanklicher Art kein neues technisches Merkmal im Sinne des Artikels 54(1) und (2) EPÜ darstellen, so dass die Neuheit zu verneinen ist, wenn die einzigen technischen Merkmale des Anspruchs bekannt sind (Punkt 7.2 der Entscheidungsgründe).

Dieser Ansatz wurde auch in den nachfolgenden Entscheidungen T 959/98, T 553/02 und T 154/04 weiterverfolgt:

In T 959/98 entschied die Kammer, dass der rein gedankliche Verfahrensschritt der Berechung einer für ein beanspruchtes Beschichtungsverfahren geeigneten Spaltdimension als nicht technisches Merkmal die Neuheit gegenüber einem Dokument (1) nicht herstellen konnte, welches das gleiche Verfahren unter Anwendung der gleichen Spaltdimension jedoch ohne vorherige Berechnung offenbarte (Punkte 1.3.4 bis 1.3.8).

In T 553/02 entschied die Kammer, dass die in einem Anspruch auf eine Bleichmittelzusammensetzung enthaltene Anleitung, die keinen Niederschlag in der physischen Struktur der Zusammensetzung findet, nicht als technisches Merkmal der beanspruchten Zusammensetzung angesehen werden konnte, welches einen technischen Beitrag liefert. Diese Anleitung beschränkte daher den Anspruchsumfang in keiner Weise und war somit bei der Neuheitsbetrachtung nicht zu berücksichtigen (Punkte 1.2.2 und 1.3).

Schließlich wurde in T 154/04 (ABl EPA 2008, 46, Punkt 14) festgestellt:

"Während Neuheit nicht notwendig ist, um den technischen Charakter einer Erfindung zu bejahen, gilt dies umgekehrt nicht, da Neuheit und erfinderische Tätigkeit nur anhand der technischen Merkmale der Erfindung festgestellt werden können."

12.4 Würde man im vorliegenden Fall dem Patentinhaber darin folgen, dass sich Anspruch 1 dahingehend von D1 unterscheidet, dass bereits während der Auswahl der Menge an Komponente (B) die Erkenntnis vorhanden sein muss, dass diese Menge an die jeweiligen Substrate und Verarbeitungsbedingungen angepasst ist, würde dies implizieren, dass das Erfordernis des Vorhandenseins dieser Erkenntnis den Umfang des Anspruchs 1 begrenzt. Dies würde wiederum bedeuten, dass man zur Feststellung einer Verletzung nachprüfen müsste, ob diese Erkenntnis im Gehirn des möglichen Verletzers zum Zeitpunkt des Auswählens vorhanden war. Auch wenn die Frage der Verletzung für die Neuheit nicht relevant und letztendlich vom Europäischen Patentamt nicht zu entscheiden ist, zeigt diese Betrachtung dennoch, dass der Ausgangspunkt der Argumentation des Patentinhabers, nämlich dem Vorhandensein einer bestimmten Erkenntnis beschränkende Wirkung beizumessen, nicht korrekt sein kann.

12.5 Aus diesen Gründen mangelt es dem Gegenstand des Anspruchs 1 an Neuheit gegenüber D10.

12.6 Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine Entscheidung über die Einwände des Einsprechenden hinsichtlich der Artikel 83, 84 und 123(2) EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

This decision T 2191/13 (pdf) has European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T219113.20151016. The file wrapper can be found here. Photo "MIND" by R/DV/RS obtained via Flickr under CC BY 2.0 license (no changes made).

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