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T 1626/11 - Reformatio in peius if all opponents withdraw


Four opponents in this opposition appealed the decision of the opposition division but later withdrew their opposition, leaving the proprietor as the sole appellant. 

In the appeal new evidence was cited and the Board came to the conclusion in a preliminary opinion that the claims allowed by the opposition division cannot be maintained. Furthermore, the proprietor had extended the allowed claim set with additional dependent claims. The board gave the proprietor the protection of reformatio in peius for the claims allowed by the opposition division but did examine the newly added dependent claims.

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) sowie die Einsprechenden 2-4 legten Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, die festgestellt hat, dass das Patent EP-B1-1 648 840 in geänderter Form als Hilfsantrag 2 (Ansprüche 1 bis 10) die Bedingungen des EPÜ erfüllt.

In der Entscheidung wurden unter anderem folgendes Dokument zitiert:

D8: Gutachten von Prof. Kind: Filtersalz aus dem Sulfatprozess zur Titandioxidproduktion für den Einsatz als Chrom(VI)-Reduktionsmittel in Zement

II. Mit der Beschwerdebegründung vom 4. Oktober 2011 reichte die Beschwerdeführerin folgendes Dokument ein:

D56: Gutachten von Prof. Kind zur Deutlichkeit und Vollständigkeit der Offenbarung

III. Die Einsprechende 1 hatte ihren Einspruch während des Einspruchsverfahrens mit dem Schreiben vom 4. April 2011 zurückgenommen. Der Einspruch der Einsprechenden 3 wurde mit dem Schreiben vom 5. Juli 2013 zurückgenommen.

IV. Die Beschwerde und der Einspruch der Einsprechenden 4 wurde mit einem Schreiben ebenfalls vom 5. Juli 2013 zurückgenommen.

V. In der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) war die Beschwerdekammer der vorläufigen Meinung, dass Anspruch 1 des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge 1 und 2 die Bedingungen der Artikel 123(2), 54 und 56 EPÜ nicht erfülle. Die Bedingungen des Artikels 83 EPÜ schienen erfüllt.

VI. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2015 nahm die Einsprechende 2 (Beschwerdegegnerin) ihre Beschwerde zurück und kündigte an, nicht an der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2015 teilzunehmen.

(...)

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag-Ansprüche 1 bis 10

1.1 Verschlechterungsverbot (reformatio in peius)

1.1.1 Die Einsprechenden 1, 3 und 4 haben ihren Einspruch zurückgenommen; sie sind somit hinsichtlich der Sachfragen nicht mehr am Verfahren beteiligt (siehe T 1676/08, Gründe 9.1.2). Die Einsprechende 2 hat ihre Beschwerde zurückgenommen, sodass die Patentinhaberin nunmehr die alleinige Beschwerdeführerin ist.

Gemäß G 9/92 darf die Beschwerdekammer die Fassung des Patents gemäß der Zwischenentscheidung nicht zulasten des Patentinhabers in Frage stellen, wenn dieser der alleinige Beschwerdeführer ist (Verschlechterungs­verbot).

1.1.2 Im vorliegenden Fall sind die Ansprüche 1 bis 10 des Hauptantrags wortgleich mit den Ansprüchen 1 bis 10 des 2. Hilfsantrags, der von der Einspruchsabteilung als den Erfordernissen des EPÜ genügend angesehen wurde. Die Frage, die sich deshalb stellt, ist, ob die Ansprüche 1 bis 10 des Hauptantrags von der Beschwerdekammer geprüft werden können, ohne das Verschlechterungsverbot zu verletzen. Diese Frage betrifft also nicht lediglich einzelne Einspruchsgründe oder sonstige Vorfragen, die von der Einspruchsabteilung im Rahmen ihrer Entscheidung zu beurteilen waren, und auf die das Verschlechterungs-verbot gemäß ständiger Rechtsprechung keine isolierte Anwendung findet (z.B. T 401/95, Gründe 2; T 149/02, Gründe 3.2.1; T 428/12, Gründe 2.4, T 576/12, Gründe 1.1), sondern das Ergebnis der Beurteilung ganzer Ansprüche, die (ggfs. zusammen mit anderen Ansprüchen) den Antrag bildeten, der von der Einspruchsabteilung als EPÜ-konform angesehen wurde.

1.1.3 Die Entscheidungen T 856/92 (Gründe 2) sowie T 149/02 (Gründe 2) befassten sich mit der gleichen Fragestellung und kamen zum Schluss, dass dann, wenn die Patentinhaberin alleinige Beschwerdeführerin ist, der gesamte Anspruchssatz, der von der Einspruchsabteilung als EPÜ-konform angesehen worden war, nicht mehr von der Beschwerdekammer geprüft werden kann, wenn er Teil eines anderen Anspruchssatzes ist, der zusätzliche (nebengeordnete) Ansprüche enthält, sofern die zusätzlichen Ansprüche das Verständnis der Ansprüche nicht verändern. Diese auf G 9/92 gestützte Schlussfolgerung wurde auch in T 168/04 (Gründe 2), T 1713/08 (Gründe 3), T 722/10 (Gründe 2), sowie T 428/12 (Gründe 2.2) befolgt.

Auch Ansprüche, die Teil des von der Einspruchsabteilung akzeptierten Anspruchssatzes waren, können gemäß der Entscheidung T 498/03 (Gründe 1.1) von der Beschwerdekammer als Teil eines anderen Antrags nicht mehr geprüft werden (zu der in T 1676/08, Gründe 9.1.2 geäußerten abweichenden Ansicht siehe nachfolgend 1.1.4 und 1.1.5).

1.1.4 Es gibt jedoch einige Entscheidungen, die dieses Rechtsverständnis in Frage stellen, ohne allerdings im Ergebnis dann eine von der unter Punkt 1.1.3 zitierten Rechtssprechung abweichende Entscheidung zu treffen. Sowohl in T 99/04 (Gründe 5) als auch in T 553/08 (Gründe 1) gab es keine Gründe der Beschwerdegegnerin, wieso die von der Einspruchsabteilung akzeptierten Ansprüche nicht EPÜ-konform seien, sodass sich die Frage des Verschlechterungsverbotes nicht stellte. Auch in T 886/00 (Gründe 5) musste nicht über das Verschlechterungsverbot entschieden werden, da die Kammer, die die Rechtsaufassung aus T 856/92 und T 149/02 in Frage stellte, die in Frage stehenden Ansprüche ohnehin als den Bedingungen das EPÜ entsprechend ansah. In T 1676/08 (Gründe 9.1.2 bis 9.1.4) wurden die Anträge, die den als EPÜ-konform angesehenen Anspruch enthielten, nicht in das Verfahren zugelassen.

1.1.5 Obwohl es fraglich erscheint, ob die in Punkt 1.1.3 zitierte Rechtsprechung die Entscheidung G 9/92 tatsächlich richtig interpretiert, da ausgehend von den Darlegungen der großen Beschwerdekammer in dieser Entscheidung sich das Verschlechterungsverbot eher auf Anträge als solche (d.h. auf gesamte Anspruchssätze) als auf einzelne Ansprüche dieser Anträge bezieht (siehe G 9/92; Gründe 1 "Antragsgrundsatz", Gründe 7 "Beschwerdeantrag", Gründe 14 "Beschwerdeantrag"), ist die Rechtssprechung, wie in Punkt 1.1.3 dargelegt, inzwischen etabliert und stellt eine vertretbare, praxistaugliche Auslegung dar. Da die unter 1.1.4 zitierten Entscheidungen zwar Zweifel aufgeworfen, jedoch zu keinen abweichenden Ergebnissen geführt haben und der unter 1.1.3 zitierten Linie daher nicht entgegenstehen, sieht die Kammer auch keinen Grund, die Frage der großen Beschwerdekammer vorzulegen.

1.1.6 Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung im vorliegenden Fall und kommt, da die neu hinzugekommenen Ansprüche 11 bis 16 das Verständnis der Ansprüche 1 bis 10 nicht beeinflussen, zum Schluss, dass Ansprüche 1 bis 10 des Hauptantrags nicht mehr zur Debatte stehen.

(...)

This decision T 1626/11 (pdf) has European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T162611.20151021. The file wrapper can be found here. PhotoLonely tree” by Bert Kaufmann obtained via Flickr under CC BY 2.0 license (no changes made)

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