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T 1280/14 - No switching between lines of defense


Can the Board exercise its discretion under Art. 13 RPBA not to admit auxiliary requests in the proceedings even if these have already been filed in direct response to the Opponent/Appellant's grounds of appeal and correspond to those submitted during first instance proceedings?

In the present case, the Opposition Division had rejected the opposition against the patent. In the ensuing appeal, the Opponent-Appellant already requested in his grounds that none of the (39) auxiliary requests filed during opposition proceedings be admitted, as these were "excessive, filed in unspecified order, and/or late filed".

In his response to the grounds, the Proprietor-Respondent filed 15 auxiliary requests based on a selection from the requests filed during opposition proceedings. The Proprietor stated that these auxiliary requests were properly numbered, therefore having a clearly specified order. From the arguments in support of the requests it could be deduced that these requests were classifiable as forming six diverging lines of defense, auxiliary requests 1, 2 and 4 thereof forming the first line of defense.

In the summons for oral proceedings, the Board pointed out (referring to T 1903/13) that the Proprietor should be prepared to comment on how the other diverging lines of defense would represent the alleged invention. The Proprietor did not provide any further comments.

Accordingly, the Opponent/Appellant and the Board had to assume prior to the oral proceedings that the Respondent intended, after the main request, to first prepare the patent in suit in accordance with the first line of defense, with auxiliary requests 1, 2 and 4 to defend. However, it was not until the oral hearing (in which the Main Request had fallen as lacking novelty over prior art document D9 filed with the Opponent-Appellant's grounds) that the Proprietor made it clear that he now intended to only pursue his third and sixth lines of defense - corresponding to auxiliary requests 8 and 15, respectively, and renumbered as auxiliary requests 1 and 2.

This unannounced change of strategy did not fare well with the Board, who found that both the Opponent and Board had unnecessarily prepared for auxiliary requests which turned out not to be relevant in the further proceedings; thus, the Respondent had not complied with the procedural economics offered. According to the Board, contrary to the Respondent's submission, his actions did not constitute a mere renumbering of the requests, since new auxiliary requests 1 and 2 (formerly auxiliary requests 8 and 15) corresponded to lines of defense diverging from the former auxiliary requests 1, 2 and 4. Thus, what was now claimed as an invention had fundamentally shifted. Hereby, the multiplicity of interlocked features rendered the changes in subject-matter of the auxiliary requests very complex.

As a result, remaining auxiliary requests 1 and 2 were not admitted in the proceedings and the patent was revoked.

Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 986 867 zurückgewiesen worden ist.
II. Der Einspruch stützte sich auf die in Artikel 100 a) und b) EPÃœ 1973 genannten Einspruchsgründe der unzu­rei­chenden Offen­barung, der fehlenden Neuheit, Artikel 54 EPÃœ 1973 und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÃœ 1973.
III. Am 23. März 2018 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Zur Vorbereitung hatte die Kammer in einer Mitteilung den Parteien bereits Folgen­des mitgeteilt:
- Verspätet eingereichte Druckschriften:
"Die Druckschrift[] D9 [...] wurde[] von der Beschwer­deführerin erstmals im Beschwerdeverfahren mit der Beschwerdebegründung vorgelegt. Die Einreichung erfolg­te im Anschluss an die für die Beschwerdeführerin nega­tive Entscheidung der Einspruchsabteilung und zu Beginn des Beschwerde­verfahrens" (Punkt 8.2 der Mitteilung).
"Die Beschwerdegegnerin bemängelt [...] das erst­malige Vor­bringen im Beschwerdeverfahren der im Ein­spruchsverfahren bisher nicht vorge­legten Druck­schrif­t[] D9 [...]" (Punkt 8.3 der Mitteilung).
"Somit wird die Zulässigkeit dieser Schriften zu disku­tieren sein (siehe hierzu Ver­fah­rensordnung der Be­schwerde­kammern VOBK, Artikel 12 und 13)" (Punkt 8.4 der Mitteilung).
- Neuheit des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 1 (Hauptantrag) (Punkt 9 der Mitteilung)
"Die Druckschrift D9 befasst sich mit einem Objekt zur Bildung latenter Bilder, um zu verhindern, dass unter anderem Banknoten nachgemacht oder gefälscht werden, sowie mit einem Verfahren zur seiner Herstellung (Spalte 1, Zeilen 12 bis 16).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Figur 4 zeigt einen vergrößerten Querschnitt eines Ausführungsbeispiels des Objekts zur Bildung eines latenten Bildes: Es gibt geprägte Vorsprünge 1a und gedruckte gerade Linien 21 bis 26 auf der Oberflä­che des Papiers 4. Die relative Anordnung der geraden Linien 21 bis 23 und der geraden Linien 24 bis 26 zu den Vorsprüngen 1a ist unterschiedlich (Spalte 4, Zeilen 11 bis 23).
Zum Prägen kann eine Tiefdruckplatte verwendet werden (Spalte 3, Zeilen 10 bis 12).
Bei einer Betrachtung senkrecht zu der Papierober­fläche (Rich­tung X in Figur 4), sieht man die geraden Linien 21 bis 26, als hätten sie unabhängig von ihrer Lage zu den Vorsprüngen 1a die gleiche Breite.
Bei einer Betrachtung unter einem bestimmten Winkel (Richtung Y in Figur 4), kann man die geraden Linien 24 bis 26 kaum sehen, weil sie hinter den jeweiligen Vor­sprüngen 1a verborgen sind. Im Gegensatz dazu sind die geraden Linien 21 bis 23 nur in einem sehr schmalen Bereich von den jewei­ligen Vorsprüngen 1a verborgen. Der Unter­schied zwischen der Ansicht in der Y-Richtung und der Ansicht in der X-Richtung beruht auf den Ein­fluss der Vorsprünge 1a und erzeugt das latente Bild (Spalte 4, Zeilen 24 bis 37).
Wenn anstelle der geraden Linien 2 Halbtonpunkte gedruckt werden, kann man ein solches latentes Bild erhalten (Spalte 4, Zeilen 44 bis 46).
Die Beschwerdeführerin zitiert im Wesentlichen die vor­anstehenden Stellen der Druckschrift D9 und argu­men­tiert, dass Halbtonpunkte den "nicht linien­förmigen Grundelementen" des Anspruchs 1 gemäß der im Streitpa­tent enthaltenen Definition entsprechen: Halbtonpunkte könnten je nach Anwen­dung z.B. rund, elliptisch oder quadratisch sein. Der Fachmann sei zudem mit den unter­schiedlichsten Gestaltungsmöglichkeiten von Halb­ton­punk­ten vertraut. Somit sei der Gegenstand der An­sprüche 1 und 13 nicht neu.
Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass die Druck­schrift D9 eine linienförmige Bedruckung offenbare (Spalte 4, Zeile 47: "lines of the half-tone dots") und die Ausführungsbeispiele nur einen linienförmigen Druck zeigen. Druckschrift D9 of­fenbare keine allgemeine Lehre, dass die Erfindung der Druck­schrift D9 auch mit einer Beschichtung funktio­niere, welche nur aus nicht linienförmigen Grundelementen bestehe. Somit sei die Druck­schrift D9 nicht prima facie hoch relevant: die Druck­schrift D9 sei as verspätet nicht zum Verfahren zuzulassen.
Sofern sich die eine oder die andere Partei auf ver­meintlich allgemein bekannte Eigenschaften der Halbton-Technik ("half-tone") beziehen möchte, wäre es ratsam ent­sprechende Belege für derartiges vermeintliches Grund­wissen bezüglich dieser Technik vor­zulegen.
Die Zulassung der Druckschrift D9 und gegebenen­falls die Neuheit des Gegenstands der An­sprüche 1 und 13 gegenüber der Druckschrift D9 sind daher in der münd­lichen Verhandlung zu diskutieren".
- Hilfsanträge (Punkt 12 der Mitteilung)
"Die Einspruchsentscheidung hatte keinen Anlass sich mit den (damaligen) Hilfsanträgen zu befassen.
Mit der Beschwerdebegründung wurde die Zulassung dieser Hilfsanträge in Frage gestellt, weil diese Anträge nicht gewährbar, spät vorgebracht, in unbe­stimmter Reihenfolge und übermäßig ("excessive") seien.
Die vorliegenden Hilfsanträge 1 bis 15 wurden mit der Beschwerde­erwide­rung eingereicht und ent­spre­chen laut Beschwerdeerwiderung, Seite 3, vierter Absatz den Hilfsanträgen, die in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgelegt wurden.
Entsprechend Abschnitt IV der Beschwerde­erwiderung lassen sich die Hilfsanträge in sechs verschiedene [Verteidigungslinien] (III.2.1 bis III.2.6) einord­nen.
Die Beschwerdegegnerin gibt an, dass diese Hilfsanträge entsprechend ihrer Nummerierung zu behandeln seien.
Somit scheint die Zulassung dieser Hilfsanträge in Frage gestellt worden zu sein und ist bei gegebenen Anlass in der Verhandlung zu diskutieren.
Die Kammer verweist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung T 1903/13 (Punkte 3.2 und 3.3). Sollte es zu den nachgeordneten Hilfs­anträgen kommen, sollte die Beschwerde­gegnerin sich darauf vorbe­reiten dazu Stellung zu nehmen, wie die weiteren verschiedenen [Verteidigungslinien] (III.2.2 bis III.2.6), die zu verteidigende Erfindung (III.2.1) dar­stellen können".
- Im Punkt 13 der Mitteilung: "In jedem Fall sind Anträge oder Stellungnahmen rechtzeitig, spätestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung, einzu­reichen, damit der anderen Partei und der Kammer ausreichend Zeit für die Vorbereitung der mündli­chen Verhandlung bleibt."
In der mündlichen Verhandlung hat die Patentinhaberin nur noch die Hilfsanträge 8 und 15 weiterverfolgt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das euro­pä­ische Patent zu widerrufen.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte als Hauptantrag die Beschwerde zurückzuweisen, oder hilfs­weise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage einer der als Hilfsantrag 1 oder 2, vormals als Hilfsanträge 8 und 15 mit Schreiben von 21. Oktober 2014 eingereicht aufrechtzuerhalten.
VI. Im Beschwerdeverfahren wurde auf die Druck­schrift D9: US-A1-5,582,103 Bezug genommen.
VII. Der unabhängige Anspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung lautet wie folgt (Hauptantrag):
"Sicherheitselement mit einer optisch variablen Struktur (3), die eine Prägestruktur (4) mit linien­för­migen Prägeelementen (5,15) und eine Beschich­tung (7) aufweist, wobei die Prägestruktur (4) und die Be­schich­tung (7) so angeordnet sind, dass we­nig­stens Teile der Beschichtung (7) bei senkrechter Be­trach­tung voll­stän­dig sichtbar sind, bei Schrägbe­trachtung aber verdeckt werden, dadurch gekennzeichnet, dass im Wesentlichen die gesamte Beschichtung (7) aus nicht linienförmigen Grundelementen (8, 9, 13, 26, 27, 39) gebildet wird, die durch die Parameter Um­rissform, Größe, Farbe und Ausrichtung charakte­ri­siert und mit der Prägestruktur (4) so kombiniert sind, dass bei Änderung der Betrach­tungsrichtung unterschied­liche Informationen sichtbar werden."
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unter­scheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag durch folgenden Zusatz am Ende des Anspruchs:
"wobei zumindest ein Teil der nicht linienförmigen Grundelemente in einem Raster an geordnet ist,
die Anordnung der nicht linienförmigen Grundele­men­te in dem Raster mehrere Vorzugsrichtungen in der Ebe­ne der Beschichtung definiert,
die linienförmigen Prägeelemente zumindest be­reichs­weise in Richtung einer der Vorzugs­rich­tungen angeordnet sind, so dass bei einer in Bezug auf diese Vorzugsrichtung senkrechten Betrachtung der mit Prägestruktur und Beschichtung versehenen Be­reiche der visuelle Eindruck betrachtungsrichtungs­abhängig variiert,
wobei verschiedene Bereiche der Beschichtung mit Prägeelementen versehen sind, die in jeweils einer anderen der Vorzugsrichtungen angeordnet sind".
IX. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unter­scheidet sich vom Anspruch 1 gemäß Hauptantrag durch folgenden Zusatz am Ende des Anspruchs:
"wobei die optisch variable Struktur eine Zusatz­information aufweist, die durch eine Variation der Form, Spiegelung einzelner oder mehrerer nicht li­nienförmiger Grundelemente, oder durch Anordnung einer das optisch variable Element individualisie­renden Information, wie alphanumerische Zeichen oder Barcodes, entsteht, oder durch Weglassung einzelner oder mehrerer linienförmiger Prägeele­mente entsteht".
X. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Fol­gendes vorgetragen:
Hauptantrag
Die Druckschrift D9 offenbare ein Sicherheitselement gemäß dem Oberbegriff des erteilten Anspruchs 1. Dabei offenbare die Druckschrift D9 eine Beschichtung mit Halbtonpunkten ("halftone dots" Spalte 3, Zeilen 32 bis 37; Spalte 4, Zeilen 44 bis 54, Spalte 5, Zeilen 47 bis 56). Halbtonpunkte entsprächen den "nicht linien­för­mi­gen Grundelementen" des Anspruchs 1 gemäß der im Streit­pa­tent enthaltenen Definition: Halbtonpunkte könnten je nach Anwendung z.B. rund, elliptisch oder quadratisch sein. Der Fachmann sei mit den unter­schied­lichsten Gestaltungsmöglichkeiten von Halb­ton­punk­ten vertraut: Die "Parameter Um­rissform, Größe, Farbe und Ausrichtung" würden den üblichen Eigenschaften von ge­druckten For­men entsprechen, was auch für Halbtonpunkte gelte. Halbtonpunkte bleiben bei ausreichend naher Be­trachtung sichtbar. Die Druckschrift D9 sei somit prima facie rele­vant und zum Verfahren zuzulassen, weil sie die Neuheit des Gegen­standes des Anspruchs 1 vorweg­nehme.
Hilfsanträge 1 und 2
Diese erst in der mündlichen Verhandlung vor der Be­schwerdekammer vorgelegte Änderung des Vorbringens sei­tens der Beschwerdegegnerin entspreche einem anderen Gegenstand als der der ersten Gruppe von Hilfsanträgen und sei jetzt zu spät. Die Beschwerdeführerin habe eine derartige Änderung des Vorbringens seitens der Be­schwer­degegnerin nicht erwartet und nicht erwarten müssen. Die Beschwerde­führerin sei auf die jetzt nicht mehr verfolgte erste Gruppe mit den in der Beschwerdeerwide­rung vorgelegten Hilfs­anträgen 1, 2 und 4 vorbe­reitet gewesen, bzw. auf die Diskussion der Zulässigkeit der weiteren Gruppen an Hilfsanträgen. Die Beschwerdegegnerin hätte diese Änderung bereits früher, spätestens nach der Mitteilung der Kammer mit ihrem Schreiben vom 8. Februar 2018 bekannt geben müssen. Bei vorheriger Bekanntgabe der neuen Hilfsanträge 1 und 2 hätte sich die Beschwerdeführerin auf diese ent­spre­chend vorbe­rei­ten können. Die Nichtzulassung dieser Änderung des Vor­bringens sei eine Frage der Fairness gegenüber der Beschwerdeführerin.
Nach der Nichtzulassung des Hilfsantrags 1 werde weiter die Nichtzulassung des Hilfsantrags 2 beantragt, hilfs­wei­se, die Zurückverweisung an die erste Instanz auf der Grundlage des Hilfsantrags 2, weiter hilfsweise die Ver­tagung der mündlichen Verhandlung im Beschwerdever­fahren. Dabei solle die Kammer die Verfahrens­Ã¶ko­nomie berücksichtigen.
Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer
Die Frage betreffe nicht den vorliegenden Sachverhalt und deshalb bestünde keine Notwendigkeit sie der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
XI. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Fol­gendes vorgetragen:
Hauptantrag
Die Beschwerde­führerin habe keine Rechtfertigungsgründe ange­geben für die erst­malige Vorlage der im Ein­spruchs­verfahren nicht genannten Druck­schrif­t D9 im Beschwer­de­ver­fahren. Es sei nicht ersichtlich warum die Druck­schrift D9 nicht bereits in der ersten Instanz hätte vor­gelegt werden können.
Die Druck­schrift D9 offenbare eine linienförmige Be­druckung und die Ausführungsbeispiele zeigen nur einen linienförmigen Druck. Der Ausdruck Spalte 4, Zeile 47 "lines of the half-tone dots" be­deute, dass der Kern der Erfindung der Druckschrift D9 aus der Kombi­na­tion einer linienförmigen Prägung mit einer Linienförmi­gen Bedruckung besteht. Die Druckschrift D9 offenbare daher keine allgemeine Lehre, dass die Er­findung der Druck­schrift D9 auch mit einer Beschichtung funktio­niere, welche nur aus nicht linienförmigen Grundelementen be­stehe. Die in der Druckschrift D9 angesprochenen "half-tone dots" seien eng aneinander angeordnet (Spalte 4, Zeile 48: "50 per inch"), so dass dennoch visuell der Eindruck einer Linie entstehe. Die Lehre des Streit­pa­tents sei damit nicht vorweggenommen. Somit sei der Ge­genstand des erteilten An­spruchs 1 neu und die Druck­schrift D9 nicht prima facie re­levant: die Druck­schrift D9 sei daher as verspätet nicht zum Verfahren zuzu­las­sen.
Hilfsanträge 1 und 2
Die Beschwerdegegnerin habe nur die Reihenfolge der Hilfsanträge geändert. Die Beschwerdeführerin habe zu den vormaligen Hilfsanträgen 8 und 15 (jetzt Hilfs­an­träge 1 und 2) bereits mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 Stellung genommen. Dass die Beschwerdegegnerin nicht besser vorbereitet sei, sei nicht relevant. Ar­ti­kel 13(3) Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK, Zusatzpublikation 1 - Amtsblatt EPA 2018, 41-50) sei im Umkehrschluss so zu ver­stehen, dass alle anderen Änderungen zuzulassen seien. Eine Umnummerierung bedarf keiner Verlegung der Verhandlung. Eine Umnummerierung sei keine Änderung des Vor­bringens, weil nur die Rei­hen­folge geändert worden sei. Zudem sei es nicht un­zu­mutbar, dass die Beschwerdefüh­rerin sich auf sechs Verteidigungslinien vorbereite. Es seien keine neuen Anträge formu­liert worden. Die Einschränkung auf die neu nummerier­ten Hilfsanträge 1 und 2 sei zuzulassen.
Nach der Nichtzulassung des Hilfsantrags 1 werde die Zurückverweisung auf der Grundlage des Hilfsantrags 2 an die erste Instanz beantragt und hilfsweise die Ver­ta­gung der mündlichen Verhandlung im Beschwerde­ver­fahren.
Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer
Der Großen Beschwerdekammer sei folgende Frage vor­zulegen:
"Darf eine Beschwerdekammer zwei Hilfsanträge aus einer Gruppierung von 6 Gruppen von erstinstanzlich vorgelegten Hilfsanträgen als verspätet zurück­weisen, weil deren Nummerierung in der Verhandlung geändert wurde?"
Der Zweck dieser Frage sei unter anderem die Ent­schei­dung der Kammer auf Korrekt­heit zu überprüfen.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Druckschrift D9
1.1 Es liegt gemäß Artikel 12(4) VOBK im Ermessen der Kammer, Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können. Unbeschadet dieser Befugnis, wird das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Absatz 1 von der Kammer berücksichtigt, wenn und soweit es sich auf die Be­schwerdesache bezieht und die Erfordernisse nach Absatz 2 erfüllt.
1.2 Die Druckschrift D9 befasst sich mit einem Objekt zur Bildung latenter Bilder, um zu verhindern, dass unter anderem Banknoten nachgemacht oder gefälscht werden, sowie mit einem Verfahren zur seiner Herstellung (Spalte 1, Zeilen 12 bis 16).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Figur 4 zeigt einen vergrößerten Querschnitt eines Ausführungsbeispiels des Objekts zur Bildung eines latenten Bildes: Es gibt geprägte Vorsprünge 1a und gedruckte gerade Linien 21 bis 26 auf der Oberfläche des Papiers 4. Die relative Anordnung der geraden Linien 21 bis 23 und der geraden Linien 24 bis 26 zu den Vorsprüngen 1a ist unterschiedlich (Spalte 4, Zeilen 11 bis 23).
Bei einer Betrachtung senkrecht zu der Papieroberfläche (Rich­tung X in Figur 4), sieht man die geraden Linien 21 bis 26, als hätten sie unabhängig von ihrer Lage zu den Vorsprüngen 1a die gleiche Breite.
Bei einer Betrachtung unter einem bestimmten Winkel (Richtung Y in Figur 4), kann man die geraden Linien 24 bis 26 kaum sehen, weil sie hinter den jeweiligen Vor­sprüngen 1a verborgen sind. Im Gegensatz dazu sind die geraden Linien 21 bis 23 nur in einem sehr schmalen Bereich von den jeweiligen Vorsprüngen 1a verborgen. Der Unterschied zwischen der Ansicht in der Y-Richtung und der Ansicht in der X-Richtung beruht auf den Ein­fluss der Vorsprünge 1a und erzeugt das latente Bild (Spalte 4, Zeilen 24 bis 37).
Wenn anstelle der geraden Linien 2 Halbtonpunkte gedruckt werden, kann man ein solches latentes Bild erhalten (Spalte 4, Zeilen 44 bis 46).
1.3 Das Vorbringen der Beschwerdefüh­rerin bezüglich der Druckschrift D9 bezieht sich auf die Beschwerdesache und führt ausdrücklich und spezi­fisch alle die Tat­sachen, Argumente und Beweismittel an. Die Erforder­nisse nach Absatz 12(2) VOBK sind somit auch erfüllt.
1.4 Die Druckschrift D9 wurde zwar von der Beschwer­deführe­rin erstmals im Beschwerdeverfahren mit der Beschwerde­be­gründung vorgelegt. Die Einreichung erfolg­te jedoch im An­schluss an die für die Beschwerdeführerin nega­tive Ent­scheidung der Einspruchsabteilung und zu Beginn des Be­schwerdeverfahrens. Zudem bringt die Einführung dieser Druck­schrift keine Ver­fah­renskomplikationen mit sich und ist insbesondere mit dem Verweis auf als Grund­ele­mente zu ver­stehende Halbtonpunkte prima facie rele­vant. Die Kammer übt daher Ihr Ermessen die Druckschrift D9 gemäß Artikel 12(4) VOBK nicht zuzu­lassen nicht aus.
1.5 Die Druckschrift D9 ist deshalb im Verfahren (Artikel 12(4) VOBK).
2. Hauptantrag
2.1 Die Druckschrift D9 (siehe Punkt 1.2 oben) offenbart ein Sicherheitsele­ment mit einer optisch variablen Struktur (Figur 4), die eine Prägestruktur mit linien­förmigen Prägeelemen­ten 1a und eine Beschich­tung 21 bis 26 aufweist, wobei die Prägestruktur 1a und die Be­schichtung 21 bis 26 so angeordnet sind, dass we­nig­stens Teile der Beschichtung 21 bis 26 bei senkrechter Be­trach­tung vollständig sichtbar sind, bei Schrägbe­trachtung aber verdeckt wer­den, wobei im Wesentlichen die gesamte Beschichtung 21 bis 26 aus nicht linienför­mi­gen Grundelementen ("half­tone dots") gebildet wird, die durch die Parameter Um­rissform, Größe, Farbe und Ausrichtung charakte­ri­siert und mit der Prägestruktur 1a so kombiniert sind, dass bei Änderung der Betrach­tungs­rich­tung X, Y unterschied­liche Informationen (21 bis 26, bzw. nur 21 bis 23) sichtbar werden.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
2.2 Gedruckte Halbtonpunkte sind zwangsläufig flächig und lassen sich schon deshalb "durch die Parameter Umriss­form, Größe, Farbe und Ausrichtung charakterisier[en]". Es handelt sich hierbei nur um allgemein be­kannte Eigenschaften einer bedruckten Fläche.
2.3 Anspruch 1 des Streitpatents beinhaltet keine Anforde­rungen, ob und in wiefern die beanspruchten Grunde­le­mente als solche visuell erkennbar zu sein haben. Darauf abzielende Argumente der Parteien sind daher nicht relevant.
2.4 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 (Hauptantrag) ist somit gegenüber dem in der Druckschrift D9 offen­barten Sicherheitsele­ment nicht neu (Artikel 100 a) und 54 EPÃœ 1973).
2.5 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass der Kern der Erfindung der Druckschrift D9 aus der Kombi­na­tion einer linien­förmigen Prägung mit einer linienförmi­gen Bedruckung bestehe. Dabei übersieht sie, dass Anspruch 1 nicht aus­schließt, dass die Beschichtung (bestehend aus "nicht linien­för­mi­gen" Grundelementen, wie z.B. Halbtonpunkte - "halftone dots") in ihrer Ge­samt­heit auch linienförmig sein kann. Dies ist auch im Streit­patent der Fall: aus den Figuren 3 und 4 ergibt sich, dass die "eine erste erfin­dungs­gemäße Bes­chich­tung in Aufsicht" und "eine zweite erfin­dungs­gemäße Beschich­tung in Aufsicht" in ihrer Gesamt­heit eben­falls Linienförmig sind.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
3. Zulässigkeit des Hilfsantrags 1
3.1 Nach Artikel 13(1) VOBK steht es im Ermessen der Kam­mer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.
3.2 Die Einspruchsabteilung hat keine Entscheidung zu den damaligen 15 (von zuvor 39) Hilfsanträgen getroffen, weil sie bereits dem Hauptantrag der Patentin­ha­berin stattgegeben hat. Mit der Beschwerdebegründung wurde die Zulas­sung dieser Hilfs­anträge, sofern sie im Be­schwerde­ver­fahren wieder vorgelegt würden, schon vorab in Frage gestellt, weil diese Anträge nicht ge­währbar, spät vorgebracht, in unbestim­mter Reihenfolge und übermäßig ("excessive") seien (Beschwerdebegründung vom 24. Juli 2014, erste Seite, letzten zwei Absätze).
Mit der Beschwerdeerwiderung wurden die 15 Hilfsanträge dann nochmals vorgelegt. Die Beschwerdegegnerin räumte ein, dass sich die Hilfsanträge in sechs verschiedene Verteidigungslinien (entsprechend Abschnitt IV der Be­schwerde­erwiderung, Punkte III.2.1 bis III.2.6) ein­ord­nen las­sen. Die Beschwerdegegnerin gab ebenfalls an, dass diese Hilfs­anträge entsprechend ihrer Nummerierung zu behandeln seien (Beschwerde­erwiderung, Punkt I.2, zweiter Absatz).
Mit der vorläufigen Meinung der Kammer im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung verwies die Kammer darauf, dass die Zulassung dieser Hilfsanträge in Frage gestellt wurde und bei gegebenen Anlass in der Verhand­lung zu diskutieren sei. Die Kammer verwies dabei auf die Entscheidung T 1903/13 (Punkte 3.2 und 3.3) und darauf, dass wenn es zu den nachgeordneten Hilfs­anträgen käme, die Beschwerde­gegnerin sich darauf vor­bereiten sollte dazu Stellung zu nehmen, wie die weiteren verschiedenen Verteidigungslinien (III.2.2 bis III.2.6), die zu verteidigende Erfindung (III.2.1) dar­stel­len könnten (Anhang zur Ladung vom 21. Dezember 2017, Punkt 12.3). Hierbei bildete der damalige Hilfs­antrag 8 die 3. Verteidigungslinie (III.2.3) und der damalige Hilfsantrag 15 die 6. Verteidigungslinie (III.2.6). Sie wurde insbesondere auch darauf hingewiesen, dass Anträge oder Stellungnahmen spätestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung einzureichen sind.
Mit ihrem Schreiben vom 8. Februar 2018 hat die Be­schwerdegegnerin ihre Antragslage nicht verändert.
3.3 Die Beschwerdeführerin und die Kammer mussten daher bis zur mündlichen Verhandlung am 23. März 2018 davon aus­gehen, dass die Beschwerdegegnerin weiterhin beabsich­tigte, das Streitpatent nach dem Hauptantrag zunächst gemäß der dem Punkt III.2.1 entsprechenden Verteidi­gungs­linie in der Sache mit den Hilfsanträgen 1, 2 und 4 zu verteidigen.
3.4 Erst in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2018 stellte die Beschwerdegegnerin klar, dass sie nun mehr nur noch ihre 3. und 6. Verteidigungslinie in der Sache mit den damaligen Hilfsanträgen 8 bzw. 15 - entspre­chend umnummeriert zu Hilfsanträgen 1 und 2 - zu ver­tei­digen beabsichtige.
3.5 Die Beschwerde­ge­gnerin hatte spätestens seit der vor­läufigen Meinung der Kammer im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung Veranlassung gehabt, die Ände­rung ihrer Anträge rechtzeitig, das heißt spätes­tens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung, bekannt zu geben. Sie hat diese Gelegenheit jedoch nicht genutzt.
Die Beschwerdegegnerin nahm damit billigend in Kauf, dass sich sowohl die Beschwerdeführerin als auch die Kammer unnötigerweise auf Hilfsanträge vorbereiten, auf die es im weiteren Verfahren nicht ankam. Dabei hat sie auch bei der Beschwerdeführerin hohe Vorbereitungs­kos­ten verursacht, die vermeidbar gewesen sind. Da die Be­schwer­degegnerin dies durch die rechtzeitige Bekannt­gabe ihrer zuletzt weiterverfolgten Anträge hätte ver­meiden können und im Hinblick auf die Feststellung der Kammer im oben ge­nann­ten Anhang (siehe Punkt 3.5), kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Beschwerde­gegnerin die gebo­tene Verfah­rens­Ã¶konomie nicht beachtet hat.
3.6 Entgegen des Vortrags der Beschwerdegegnerin handelt es sich nicht nur um eine Umnummerierung der Anträge, weil die Hilfsanträge 1 und 2 (vormals Hilfsanträge 8 und 15) an­deren Verteidigungslinien entsprechen als die vormaligen Hilfs­an­träge 1, 2 und 4. Somit hat sich das was als Erfindung beansprucht wird grundlegend verla­gert. Hierbei belegt die Vielzahl der hin­zu­gefügten mit einander verschränkten Merkmale, dass die Änderungen im An­spruchs­ge­genstand des vorliegenden Hilfsantrags 1 komplex sind (siehe Punkt VIII. oben).
3.7 Der Hilfsantrag 1 wird deshalb nicht zum Verfahren zu­ge­lassen (Artikel 13(1) VOBK).
4. Zulässigkeit Hilfsantrag 2
4.1 Die oben zum Hilfsantrag 1 genannten Gründe gelten ebenfalls entsprechend für den Hilfsantrag 2, welcher der 6. Verteidigungslinie (vormals Hilfsantrag 15) der Be­schwer­dege­gnerin entspricht, wobei der geänderte Gegenstand des Hilfs­antrags 2 wegen der vielschichtigen oder-Ver­knüpfungen ebenfalls komplex ist (siehe Punkt IX.).
4.2 Auch der Hilfsantrag 2 wird nicht zum Verfahren zuge­lassen (Artikel 13(1) VOBK).
5. Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer
5.1 Nach Artikel 112 (1) a) EPÃœ befasst die Beschwerde­kammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Große Beschwerdekammer, wenn sie eine Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung für erforderlich hält oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt.
5.2 Im vorliegenden Fall geht es um die Anwendung von Arti­kel 13 (1) VOBK. Nach dieser Vorschrift steht es im Er­messen einer Beschwerdekammer, Änderungen des Vorbring­ens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwer­de­begründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berück­sichtigen. Dabei können die Kriterien der Komplexität des neuen Vorbringens und die gebotene Verfahrens­Ã¶ko­nomie berücksichtigt werden.
Wenn diese Kriterien, wie im vorliegenden Fall, berück­sichtigt wurden, kann daraus keine uneinheitliche Rechts­anwendung geltend gemacht werden. Einen darauf gestalteten Einwand hat die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung nicht erhoben.
5.3 Es liegt in diesem Fall aber auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor.
Da die Regelungen der VOBK natürlich im Einklang mit dem EPÃœ stehen, die Regelungen des Artikels 13 (1) VOBK insbesondere mit denjenigen des Artikels 114 (2) EPÃœ, lässt sich die Antwort auf die Frage der Beschwer­de­gegnerin zweifelsfrei aus dem EPÃœ ableiten. Deshalb kann keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegen (siehe T 39/05 und J 5/81).
5.4 Eine Ãœberprüfung der "Entscheidung der Kammer auf Korrekt­heit" ist mittels der Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer unter Artikel 112 (1) a) EPÃœ nicht vorgesehen.
5.5 Die Kammer kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass die Beantwortung der Frage durch die große Beschwerdekammer für den Ausgang dieses Beschwerdefalls nicht erforder­lich ist.
5.6 Somit war der Antrag auf Vorlage der Frage an die Große Beschwerdekammer zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent wird widerrufen.

This decision T 1280/14 (PDF) has European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T128014.20180323. The file wrapper can be found here. Photo obtained via Pixabay by geralt under CC0 license (no changes made).


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